Schwarzach/Mosbach. „Wenn ich daran denke, bekomme ich erneut Gänsehaut“, sagt Anette Schweitzer. Seit vielen Jahren arbeitet die stellvertretende Einrichtungsleitung im Bereich des sogenannten „Intensivpädagogischen Wohnens“ bei der Johannes-Diakonie am Standort Schwarzach – einem Bereich, in dem Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und Verhaltensweisen, die von der Gesellschaft oft als besonders herausfordernd wahrgenommen werden, die notwendige individuelle Assistenz erhalten. Wenige Monate ist es her, da hatte sich Anette Schweitzer mit ihrem Team dazu entschlossen, gemeinsam mit Klientinnen und Klienten am „AOK Firmenlauf“ in Mosbach teilzunehmen.
Das Besondere am Erlebnis Firmenlauf: „Unsere Klientinnen und Klienten bekamen das seltene Gefühl vermittelt, zur Läufergemeinschaft dazuzugehören und willkommen zu sein“, erläutert Anette Schweitzer. Gemeinsam mit Mitarbeitenden der Johannes-Diakonie in den gleichen Shirts zu laufen, den Jubel der Zuschauer empfangen zu dürfen, am Ende wie alle anderen eine Medaille um den Hals gehängt zu bekommen, sei für alle ein tolles Erlebnis gewesen.
An der Strecke stand an diesem Tag auch Janina Meißner. Die Heilpädagogin begleitet als Teil des Heilpädagogisch-Psychologischen Dienstes auch die Mitarbeitenden im Team von Anette Schweitzer. „Ich war völlig begeistert“, erinnert sie sich. Die Motivation des Teams, an diesem Lauf teilzunehmen, kann sie auch im Nachhinein nur unterstützen. „Menschen mit herausforderndem Verhalten brauchen zwingend diese Akzeptanz.“ Oft genug würde das Verhalten dieser Menschen in den Vordergrund gerückt, das aber vor allem für das Umfeld herausfordernd sei. „Unsere Aufgabe ist es daher, den Menschen mit seinen jeweiligen Bedürfnissen zu erkennen. Also Bedürfnisse, die in diesem Moment nicht befriedigt werden und ein irritierendes Verhalten wie lautes Schreien oder Selbstverletzungen hervorrufen.“
Janina Meißners Arbeit und die des Fachdienstes sind eine willkommene Unterstützung für Anette Schweitzer und ihr Team. „Für unsere Arbeit ist es unerlässlich, viel zu kommunizieren und uns gegenseitig Sicherheit zu geben“, sagt die gelernte Krankenschwester. „Auch beim Firmenlauf war einer unserer Klienten mit der Situation überfordert, hat sich auf eine Wiese gesetzt und sich geschlagen.“ Da braucht es stabile Mitarbeitende, die mit dieser Situation umgehen können – auch unter den Blicken Unbeteiligter. „Aber wir sind Fachleute für Pädagogik unter besonderen Bedingungen, werden kontinuierlich fortgebildet, haben damit die notwendige Sicherheit, die wir an unsere Klientinnen und Klienten weitergeben.“
Um Teilnahmen an Veranstaltungen wie Läufen, Märkten oder alltägliche Gänge zum Einkaufen realisieren zu können, muss nicht nur qualifiziertes, sondern auch ausreichend Personal zur Verfügung stehen. Dies sei in der Vergangenheit nicht immer vorhanden gewesen, so Anette Schweitzer. Durch das Bundesteilhabegesetz und dessen Fokus auf eine individuellere Assistenz für Menschen mit Behinderung seien die Voraussetzungen nun aber andere. Jetzt sei der Bedarf an mehr Personal offiziell festgestellt – und an vielen Stellen durch die Einstellung zusätzlicher Kräfte bereits spürbar. Nur so könne den Personen ein individuelles, auf deren Fähigkeiten und Bedürfnissen abgestimmtes Wohn- und Lebenskonzept ermöglicht werden. „Dies ist eine Grundvoraussetzung auf dem Weg zur Inklusion“, so Janina Meißner.
Um tatsächlich einmal eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen auch mit herausfordernden Verhaltensweisen zu erreichen, dazu bräuchte dieser Personenkreis eine gut vernehmbare Lobby. Darin sind sich Anette Schweitzer und Janina Meißner einig. „Und es werden eben Begleitpersonen wie uns benötigt, die wissen, was sie tun“, ergänzt Schweitzer. Das ist die Voraussetzung, damit alle gemeinsam am 16. September erneut beim AOK Firmenlauf 2025 in Mosbach teilnehmen können. Dann hoffentlich wieder mit Gänsehaut.