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Sein Bruder wurde Opfer der NS-Euthanasie

Hier ist auch Hans Kroel verewigt: Pfarrer Richard Lallathin (l.) und Kurt Kroel am Gedenkstein für Opfer der NS-Euthanasie aus der Johannes-Diakonie.

Mosbach/Lahr. Vor 80 Jahren setzte ein Erlass Adolf Hitlers das Startsignal für die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderung im Dritten Reich. Kurt Kroel (88) war als Kind in dieser Zeit in der damaligen „Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache“, der heutigen Johannes-Diakonie, untergebracht. Von den Massenmorden war er nicht betroffen, wohl aber sein Bruder Hans, der dem NS-Euthanasieprogramm zum Opfer fiel. Jetzt besuchte Kurt Kroel die Einrichtung in Mosbach, die für ihn von 1935 bis 1947 ein Zuhause war. Bei seinem Gang zu den schon damals genutzten Häusern der ehemaligen „Pflegeanstalt“ begleiteten ihn der Pfarrer der Johannes-Diakonie, Richard Lallathin, und der Historiker Dr. Hans-Werner Scheuing, der die Geschichte der NS-Euthanasie in der Johannes-Diakonie aufgearbeitet hat.

„Du musst reden, reden, reden“, habe er seinem Bruder noch mitgegeben, berichtete Kroel, bevor Hans 1939 auf den Schwarzacher Hof verlegt wurde. Dort lebten viele der schwerer behinderten Bewohner. Ob die Episode sich so zugetragen hat oder diese Erinnerung später aus dem Wissen um das Schicksal der Ermordeten entstanden ist, ist ungewiss. Vor den NS-Ärzten einen möglichst „gesunden“ Eindruck zu machen, galt jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt als Strategie, unbehelligt zu bleiben. Doch Hans Kroel schaffte es nicht: Im September 1940 wurde er in die Vernichtungsanstalt Grafeneck transportiert und dort getötet. Was genau geschehen war, blieb Kurt Kroel lange Zeit unklar. Doch als der Vater ihm nach dem Krieg den Brief mit der Todesnachricht zeigte, sagte er ihm: „Der Hans ist vergast worden.“  Dieses Wissen um das Schicksal der Ermordeten war im und nach dem Dritten Reich verbreitet – obwohl die Organisatoren versuchten, das Morden geheim zu halten, wie Dr. Scheuing bestätigt. Wenn auch nicht in allen Details, so war Angehörigen doch häufig bewusst, dass die von offizieller Seite genannten Ursachen für den Tod der Opfer, wie etwa Lungenentzündung, nicht der Wahrheit entsprachen.

Der staatlich organisierten Ermordung von Menschen mit Behinderung, der sogenannten T4-Aktion, fielen 1940 rund 70000 Personen zum Opfer. Geschätzte weitere 150000 starben in den folgenden Jahren, indem sie gezielt unterversorgt oder Opfer medizinischer Versuche wurden. Aus der damaligen „Pflegeanstalt“ wurden in Mosbach und Schwarzach im September 1940 insgesamt 218 Menschen abgeholt und ermordet. Weitere 45 fielen in den folgenden Jahren der versteckten NS-Euthanasie zum Opfer.
 
Kurt Kroel lebte bis 1947 in der heutigen Johannes-Diakonie. Dann konnte er in seine Heimatstadt Lahr zurückkehren, wo er heiratete und eine Familie gründete. An die Ereignisse von 1940 hat er keine Erinnerung mehr. Auch sonst kommt ihm beim gemeinsamen Rundgang nur noch wenig aus seiner Zeit in der „Anstalt“ ins Gedächtnis. An die „Küchenschwester“ Frieda erinnert er sich und an das Krankenhaus, das heutige „Haus am Berg“. Beeindruckend wirkt auf ihn der Gedenkstein vor der Johanneskirche zur Erinnerung an die Opfer der NS-Euthanasie, der auch den Namen seines Bruders trägt.

Für Pfarrer Richard Lallathin war die Begegnung mit Kurt Kroel eine außergewöhnliche Erfahrung: „Einen der letzten Zeitzeugen der NS-Zeit bei uns zu haben, war ein sehr bewegendes Erlebnis.“

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