... stark für Menschen

Geschehnisse, die bis heute nachwirken

In Mosbach erinnerte Pfarrer Richard Lallathin beispielhaft mit der Lebensgeschichte von Rudi Ott an das Schicksal der Ermordeten.
Beim Gedenkgottesdienst in Schwarzach mit Diakon Joachim Szendzielorz und Pfarrerin Erika Knappmann standen Blumen für die ermordeten Bewohner vom Schwarzacher Hof.

Mosbach/Schwarzach. 80 Jahre ist es her, dass Menschen mit Behinderung in Mosbach und Schwarzach während der sogenannten T4-Aktion abgeholt, in die Anstalt Grafeneck transportiert und dort mit Gas getötet wurden. Diese und weitere Maßnahmen der NS-„Euthanasie“ brachten insgesamt 263 Menschen aus der „Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache“, der heutigen Johannes-Diakonie, den Tod. Dieser Opfer gedachte die Johannes-Diakonie in einer Reihe von Veranstaltungen, die sich in die Erinnerung an das 140-jährige Bestehen der Einrichtung einbetteten. Umfassende Informationen zu Zwangsmaßnahmen gegen und zur Ermordung von Menschen mit Behinderung im Dritten Reich lieferte in Text und Bild eine mobile Ausstellung, die begleitend zu den Veranstaltungen gezeigt wurde und derzeit in der Johanneskirche zu sehen ist. Wie sich die Auseinandersetzung mit der NS-„Euthanasie“ als Straßentheater in die Öffentlichkeit tragen lässt, zeigte das inklusive Ensemble „Theater in der Tonne“ aus Reutlingen auf dem Mosbacher Marktplatz.

In zwei Gottesdiensten wurde der Opfer an den Orten des damaligen Geschehens gedacht. Bilder und Lebensgeschichten der Ermordeten bestimmten das Gedenken ebenso wie nachdenkliche Klänge, in Schwarzach vorgetragen von Bernadette Karl, in Mosbach von Peter Bechtold und Mitgliedern des Singkreises. Beim Freiluftgottesdienst in Schwarzach symbolisierten Blumen jene Menschen, die dort im September 1940 in graue Busse steigen mussten und nach Grafeneck transportiert wurden. Die Namen der Getöteten sowie einzelne Porträts waren in den Fenstern des Haus Luther zu sehen. Nach dem Gottesdienst wurden die Blumen am Gedenkstein für die Opfer der NS-„Euthanasie“ auf dem Schwarzacher Lindenplatz eingepflanzt. In Mosbach wurde stellvertretend das Schicksal zweier Opfer beschrieben. Pfarrer Richard Lallathin schilderte Leben und Sterben von Rudi Ott aus Karlsruhe, der in der zweiten Phase der NS-„Euthanasie“ 1944 mit weiteren Bewohnern der Johannes-Diakonie in die Anstalt Uchtspringe gebracht wurde und dort an den Folgen von Vernachlässigung und Unterernährung starb. Der Historiker Dr. Hans-Werner Scheuing erzählte von Frieda Hofgärtner aus Konstanz. Die 32 Jahre alte Frau gehörte am 20. September 1940 zu den letzten Bewohnern, die aus Mosbach zur Vernichtung nach Grafeneck gebracht wurden.

Dass die Verbrechen von damals auch als Mahnung für heute zu sehen sind, wurde beim Gedenken immer wieder deutlich. Pfarrerin Erika Knappmann erinnerte in Schwarzach nicht nur an die Leiden der Opfer, sondern kehrte ebenso die Bedeutung der damaligen Ereignisse für das Jetzt hervor. „Im Gedenken sollten wir nicht nur zurückblicken, sondern auch prüfen, was sich geändert hat und wo die NS-‚Euthanasie‘ nachwirkt.“ Auch in Mosbach war der Kampf gegen das Vergessen und das Lernen aus der Geschichte ein wichtiges Thema. „Die Opfer mahnen uns, Schuld zu bekennen und für die Würde von Menschen mit Behinderung einzutreten“, schloss Richard Lallathin.

Tatsächlich hallt das Echo der Geschehnisse von damals auf vielfältige Weise bis in die Gegenwart nach. Die zahlreichen Verbindungen zwischen Heute und Damals machte der Historiker Dr. Dieter Fauth bei einem Vortrag deutlich, der unter dem Titel „Eugenisches NS-Verbrechen als Mahnung für die Gegenwart“ stand. Vom nationalsozialistischen Terror gegen Menschen mit Behinderung und deren Ermordung im Dritten Reich über die Erinnerungskultur der Nachkriegsjahre schlug Fauth in der Mosbacher Johanneskirche den Bogen bis in die Gegenwart. Dabei konnte der Konrektor der Comenius Realschule Wertheim und Mitbegründer der Wertheimer Stolperstein-Initiative zu den geschichtlichen Fakten viele Erfahrungen aus seiner eigenen Forschung beitragen. Angst und Scham der Angehörigen, kollektive Verdrängung oder auch bloßes Desinteresse standen lange einer Auseinandersetzung mit dem Thema NS-„Euthanasie“ entgegen, wie Fauth betonte. Erst nach und nach ergänzte ein namentliches Gedenken, etwa in Form der Stolperstein-Aktion, die weitgehend anonyme Überlieferung des Geschehens.

Das Jahr 1945 markiert dem Historiker zufolge dennoch einen klaren Schnitt. Aus der totalitären NS-Diktatur ging ein demokratischer Rechtsstatt hervor. Auf vielen Feldern haben Staat und Gesellschaft hierzulande aus der Geschichte gelernt, betonte Dr. Fauth. Wertekanon, Grundrechte, Ethik-Kommissionen und vieles mehr böten Schutz und seien Vorkehrungen, damit sich die damaligen Geschehnisse nicht wiederholen. Und dennoch: Aktuelle Diskussionen um den Rassebegriff, mangelnde Solidarität mit sozial Schwachen und anderes zeigen, dass auch heute noch Gefahren für die Würde des Menschen existieren, wie Fauth erklärte. „Die damaligen Potenziale sind erhalten geblieben.“ Dem „Ungeist der NS-Eugenik“ gelte es auch heute noch kritisch zu begegnen.

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